weltverbesserer Leben Oh je, du Fröhliche! Mental Load an Weihnachten

Oh je, du Fröhliche! Mental Load an Weihnachten

Foto: noskaphoto / stock.adobe.com

Da sitzen sie alle zufrieden um den geschmückten Weihnachtsbaum. Die Geschenke sind ausgepackt, die Kinderaugen leuchten im Kerzenschein. Die Bäuche rund und warm vom Festmahl. Jetzt nur noch der Videocall mit den Eltern bei dem Vati den festlich geschmückten Baum im Garten zeigt und Weihnachten ist geschafft! Gastautorin Patricia Cammarata über Mental Load zu Weihnachten und wie man es anders machen kann.

Wenn es gut läuft, wird das Weihnachtsfest 2020 so aussehen. Fast wie die Jahre davor, nur dass die Familien in diesem Jahr wegen der Pandemie nicht alle zusammenkommen und an einem Ort feiern können.

Was fast allen Beteiligten nicht ganz klar ist: damit es sich Weihnachten so anfühlt, muss im Vorfeld ziemlich viel bedacht und erledigt werden, und zwar mehr als denjenigen, die durchaus mitgeholfen haben, bewusst ist.

Das Ergebnis kennen alle, der Weg dorthin ist oft unsichtbar

Spulen wir die Szene also ein paar Wochen zurück und schauen in eine schier unendliche To-do-Liste voller Fragen, die sich auch heute noch zum größten Teil in den Köpfen der meisten Frauen befindet:

  • Was für einen Adventskranz wollen wir dieses Jahr?
  • Haben wir noch passende Kerzen?
  • Wo sind die Kerzenhalter, die man in den Kranz steckt?
  • Wie soll die Wohnung geschmückt werden?
  • Wann holt man die Kiste mit dem Schmuck aus dem Keller?
  • Wollen wir dieses Jahr Lichter an den Fenstern?
  • Wann kaufen wir den Weihnachtsbaum?
  • Wo ist der Ständer?
  • Wann schmücken wir den Baum?
  • Wollen wir Weihnachtsplätzchen dieses Jahr?
  • Wann backen wir die Plätzchen?
  • Haben wir alle Zutaten da? Und auch für die Deko der Plätzchen?
  • Wem schicken wir dieses Jahr eine Karte?
  • Machen wir eigene Karten?
  • Bis wann müssen die fertig sein, damit sie rechtzeitig ankommen?
  • Wie viele Briefmarken brauchen wir dafür?
  • Bekommen dieses Jahr die Lieben ihre Geschenke mit der Post?
  • Wann müssen die spätestens abgeschickt sein, damit sie bei dem erhöhten Paketaufkommen noch rechtzeitig unter dem Weihnachtsbaum liegen?
  • Was schenken wir?
  • Was haben wir letztes Jahr geschenkt (nicht, dass wir etwas doppelt schenken)?
  • Haben wir genug Geschenkpapier?
  • Wollen wir überhaupt noch Geschenkpapier – so richtig nachhaltig ist das nicht. Doch lieber Stoff und Bänder?
  • Was essen wir die Feiertage?
  • Was essen die Kinder, die mögen doch manche Dinge nicht und sollen es auch schön haben…
  • Was muss dafür eingekauft werden?
  • Wann spätestens? Müssen wir dafür etwas vorbestellen (die Weihnachtsgans?)
  • Wann findet man die Zeit alles Tiptopp aufzuräumen, damit es dann am Heiligabend gemütlich ist?
  • Wollen wir uns schick machen zu diesem Anlass?
  • Passen den Kindern die Klamotten aus dem Vorjahr?
  • Was ist mit Omi? Wenn wir sie dieses Jahr nicht besuchen können, was können wir tun, damit sie sich nicht einsam fühlt?

Wenn Sie jetzt gescrollt haben, dann zu Recht, denn es ist wahnsinnig viel und kleinteilig, was bedacht und initiiert werden muss und es ist anstrengend! Allein das Lesen ist anstrengend und jetzt stellen Sie sich vor, all das ist „nebenher“ zu erledigen. Denn bei den meisten Menschen geht der Alltag bis kurz vor Weihnachten einfach weiter. Die Schule geht weiter, die Kinder müssen betreut und versorgt werden. Die eigene Erwerbstätigkeit geht weiter, alles wie immer nur on top kommt die Aufgabe „gestalte die Weihnachtszeit für alle möglichst besinnlich“.

Mental Load zu Weihnachten: Geschenke und Einpacken können in echten Stress ausarten
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – freestocks

Besinnlichkeit oder Peak Stress

In der Psychologie gibt es sogenannte Life Stress Events. Also Ereignisse oder Phasen, die für Menschen besonders viel Stress und Belastung erzeugen. In den Top Ten dieser Life Stress Events finden sich so drastische Themen wie Scheidung und Druck vom Vorgesetzten, weil der mit der Arbeit unzufrieden ist, aber ein Punkt auf der Liste ist eben auch: Weihnachten.

Nicht umsonst. Das wissen alle Mütter, denn das sind diejenigen, die unabhängig von der eigenen Erwerbstätigkeit diese planerischen Arbeiten zu den eigentlichen To-Do´s zusätzlich übernehmen. Sie arbeiten im Kopf einen Projektplan aus, der Antworten auf all die oben gestellten Fragen liefert und dann die To-Do´s auf die Familienmitglieder verteilt. Sie sind verantwortlich, dass sich am Ende alle wohlfühlen und gut versorgt sind.

Diese Belastungsschieflage ist den meisten gar nicht so bewusst, denn natürlich unterstützen die Partner und erledigen in der Regel alles, was die Frauen in Auftrag geben. Zwar müssen die Frauen manchmal noch ein zweimal daran erinnern, aber am Ende ist der Weihnachtsbaum gekauft und der Großeinkauf erledigt.

Dieses Phänomen nennt sich Mental Load. Es wurde im Oktober bereits von Laura Fröhlich beschrieben und ist spätestens seit diesem Jahr in aller Munde. Allein 2020 sind hierzu sechs Bücher im deutschsprachigen Raum erschienen.

Lies hierzu auch: Warum die Frau fürs Leben nicht das Mädchen für alles ist und was Frau/Mann tun kann, um das zu ändern.

Geteilte Arbeit ist doppelte Freude

Frauen war schon immer klar, wie anstrengend die Weihnachtszeit ist, nur hatten sie bislang vielleicht kein Wort, mit dem sie diese Belastung beschreiben und damit dann auch neu verhandeln bzw. verteilen konnten.

Das soll im Idealfall in Zukunft anders sein, denn es gibt in der Tat eine Menge Dinge, die man tun kann, um sich zu entlasten. Einiges davon kann man selbst in die Hand nehmen, anderes geht nur, wenn es eine zweite erwachsene Person im Haushalt gibt, die bereit ist die Verantwortung und das Planen mit einem zu teilen.

Statt perfekte, die Gut-Genug-Weihnachtszeit planen

Was tun bzw. eigentlich muss die erste Frage lauten: Was nicht tun? Gerade in der Weihnachtszeit tun wir viele Dinge, ohne sie zu hinterfragen. Wir tun sie, weil alle sie tun, weil man das so macht, weil das schon immer so gewesen ist. Manchmal folgen wir auch einfach dem Zeitgeist.

Ein großes Thema sind aktuell die Adventskalender. Einer prächtiger als der andere. Allesamt selbstgebastelt und individuell befüllt. Irgendwo las ich mal, sie seien „Wie 24-mal Geburtstag bis endlich Heilig Abend ist.“ Und ja, das kann man machen – aber man kann sich eben auch fragen: „Muss das ein? Ist mein Kind vielleicht auch mit 24 Schokotalern glücklich?“

So kann man die ganze zeitliche Planungsliste für Weihnachten durchgehen:

  • Ein natürlicher Baum ist schön, aber vielleicht erspart ein künstlicher Baum Arbeit und Geld? Er steht immer so gerade, wie man ihn biegt, er hat keine Lücken und es dauert keine 10 min ihn aufzustellen.
  • Ein aufwändiges Festessen ist toll, aber vielleicht leistet man sich gerade dieses Jahr, weil man in kleiner Runde feiert, eine Bestellpizza?
  • Der dekorierte Tisch macht weihnachtliche Stimmung, aber vielleicht entsteht die Stimmung auch mit 5 Kerzen mehr und dafür ohne Stoffservietten, Tannenzweigen, Zimtstangen und gebügelter Tischdecke?
  • Vielleicht schenkt man sich dieses Jahr gar nichts außer gemeinsame Zeit? Oder jede/r schenkt nur einer anderen Person etwas und das reihum.
  • Und vielleicht trifft der Spruch „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ nur auf Modedesigner zu, wohingegen Weihnachten im Onesie eine gemütliche Sache für die Durchschnittsfamilie ist?

Jede/r kann seine eigene Liste durchgehen und schauen, was man weglassen oder was man sich einfacher machen kann. Wir sind es viel zu sehr gewohnt nach dem „wie und auf welche Art erledigen wir das“ zu fragen als nach dem „warum machen wir das überhaupt?“. Dabei ist gerade die Frage nach dem Warum ein großartiger Hebel die Last der To-Do´s und somit auch die Planungs- und Verantwortungslast zu reduzieren.

Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Markus Spiske

Ausmisten und es einfacher halten

Es hilft also enorm To-Do-Listen durchzuschauen und auszumisten, dabei nach dem „Warum“ zu fragen und zuletzt: den medial geprägten vollromantisierten Idealbildern von Weihnachten abschwören und damit auch dem Perfektionismus auf Wiedersehen (eher auf Nimmerwiedersehen) zu sagen.

Ein gut-genug-Weihnachten kann auch wunderbare Kindheitserinnerungen prägen. Stellen Sie sich vor, die Kinder wachsen auf mit Erinnerungen an entspannte Weihnachten mit Pommes und einer anwesenden Mutter. Denn für meine Generation ist in den Erinnerungen zwar ein geschmückter Weihnachtsbaum ein starkes Bild doch ebenso stark ist das Bild der abwesenden Mutter, denn die stand den ganzen Tag und Abend in der Küche und war mit vorbereiten, kochen und saubermachen beschäftigt.

Partnerschaftliches Fest statt ein erschöpfter Weihnachtswichtel  

Neben all dem, was man sich selbst leichter machen kann, steht natürlich auch die Möglichkeit sich die Themen mit dem Partner gerecht aufzuteilen. Nur dafür muss man das Unsichtbare erstmal sichtbar machen. Was jahrelang ganz selbstverständlich von den Frauen pünktlich initiiert und erledigt wurde, kann in der Vorweihnachtszeit bei Lebkuchen und Gewürztee mit dem Partner besprochen werden.

Nur wenn die Liste mit allen Themen einmal für alle sichtbar zusammengestellt wurde, kann man auch gemeinsam entscheiden, wer macht bis wann was und wie soll das Ergebnis grob aussehen.

Mental Load zu Weihnachten: Familie schmückt gemeinsam einen Baum
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Jonathan Borba

Dabei sind zwei Dinge wichtig:

Man gibt nicht nur einzelne To-do’s, sondern den ganzen Prozess ab. Wenn etwas schiefgeht, ist der Prozessverantwortliche derjenige, der für Ersatz sorgt.

Konkret heißt das: Die Aufgabe „Geschenk für das Kind besorgen“ lautet zukünftig nicht „Kannst Du in unserer Kiezbuchhandlung Teil 5 der Kinderserie XY von Autorin Z besorgen, ich hab’s gestern vorbestellt“ sondern „Denk Dir ein Geschenk fürs Kind aus, besorge es rechtzeitig, bleibe grob im vorher gemeinsam vereinbarten Budget, verpacke es und lege es am 24. unter den Weihnachtsbaum“.

Es bleibt für den neuen hauptverantwortlichen Raum für eigene Lösungen. Wer jahrelang für bestimmte Themen verantwortlich war, dem fällt das Loslassen nicht leicht. Das kennt man auch aus der Erwerbsarbeit. Wird da umverteilt oder Themengebiete wandern in andere Abteilungen, muss man sich das ein oder andere Mal auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen, wenn die/der neue Verantwortliche es plötzlich anders macht. Aber wenn man wirklich will, dass man nicht für immer und alle Zeiten weiter verantwortlich bleibt, muss man genau das lernen.

Es gibt immer viele Wege nach Rom und viele Lösungen sind gleich gut. Auch, wenn man jahrelang an der Optimierung gearbeitet hat. Der neue Verantwortliche muss seinen eigenen Weg finden. Er soll auch Fehler machen dürfen, so wie man das vielleicht selbst am Anfang gemacht hat und vielleicht kommt am Ende etwas Überraschendes heraus, das einen nicht nur entlastet, sondern sogar erfreut.

Mental Load zu Weihnachten: Am schönsten ist es, wenn man mit den Lieben feiern kann
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – S. B. vonlanthen

Und für alle, die keine Zeit haben den Text komplett zu lesen gibt es zum Abschluss ein tldr (Too long, didn’t read):

Zwei Leitsätze helfen zukünftig durch die stressige Vorweihnachtszeit. Sie lauten: „Weniger ist mehr“ und „Geteilte Last ist halbe Last“.

Wenn man dann noch in Dauerschleife „Let it go!“ aus dem Frozen-Film vor sich hinsummt, wenn das Loslassen mal schmerzt, steht einer entspannten Weihnachtszeit wirklich nichts mehr im Wege.

Schlagwörter: