Wir alle tun es und keiner spricht darüber: Der Toilettengang ist nicht nur in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema, über das keiner so richtig reden will. Ist das „Geschäft erledigt“, wird die Spülung gezogen und das war es dann für die meisten. Über Dinge wie Wasserverbrauch und mögliche Alternativen bewahren viele von uns Stillschweigen und das, obwohl mehr als zwei Drittel der Menschheit noch immer keinen Zugang zu einer gesicherten Sanitärversorgung hat. Bei der wachsenden Zahl der Weltbevölkerung lässt sich diese Problematik aber nicht so einfach von der Hand weisen. Das junge Sozialunternehmen Goldeimer hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau das zu ändern.
Entstanden aus der eigenen Erfahrung heraus, dass eine fehlende Sanitäranlage ein echtes Problem darstellt, ist die Idee entstanden, mittels eins einfachen Verfahrens die Hinterlassenschaften zu kompostieren und fruchtbare Humuserde daraus zu machen. Wir haben mit den Gründern gesprochen und uns erklären lassen, wie das genau funktioniert und warum man über Kot und Co. einfach mal reden sollte.
Ist es ok, wenn wir euch als „Weltverbesserer“ bezeichnen?
Die Bezeichnung schmeichelt natürlich, aber letztlich sind es motivierende Vorschuss-Lorbeeren. Ob wir es schaffen für unseren Bereich der Sanitärversorgung die Welt ein wenig besser zu machen, lässt sich vermutlich erst in einigen Jahren sagen.

Welches Konzept steckt hinter Goldeimer?
Wir versuchen ein Tabuthema in die Öffentlichkeit zu bringen und einen Beitrag zu einem Thema von globaler Relevanz beizusteuern. Wir betreiben ein kreislauforientiertes Sanitärsystem für Großveranstaltungen, bei dem keine Nährstoffe mehr verloren gehen, sondern aufbereitet und wiederverwendet werden können – ein uraltes Konzept der indigenen Bevölkerung Süd- und Mittelamerikas. Nebenher vermarkten wir ein eigenes Klopapier und stecken sehr viel Zeit in Forschungs-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Umsätze reinvestieren wir entweder in den gemeinnützigen Zweck von Goldeimer oder leiten die Gelder an unseren Partner von der Welthungerhilfe weiter, um weltweit Sanitärprojekte zu finanzieren.
Wie ist die Idee zu Goldeimer entstanden und welcher Grundgedanke war für die Entstehung bzw. die Gründung ausschlaggebend?
Die Idee zu Goldeimer ist während einer Projektreise nach Burkina Faso mit Viva con Agua und der Welthungerhilfe entstanden. Dort habe ich mich erstmals nach 26 Jahren mit den Folgen unzureichender Sanitärversorgung beschäftigt: Durchfall und kontaminiertes Wasser. Im Anschluss an die Reise habe ich mich im Rahmen meiner Abschlussarbeit mit alternativer Sanitärversorgung auseinandergesetzt und mit einigen Kommilitonen bei einem Ideenwettbewerb beworben. Nach einem Jahr Ausprobieren und Testen ist Viva con Agua auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir gemeinsam ein Social Business gründen wollen – und dann gings los.
Was bietet ihr euren Kunden außer Toilettenpapier noch an?
Unser Kernprodukt ist nicht Klopapier, sondern ein ökologisches, geschlossenes Sanitärsystem auf Großveranstaltungen. Das Klopapier ist erst 3 Jahre nach Gründung von Goldeimer zur Erhöhung unserer Reichweite und Finanzierung unserer Projekte hinzugekommen. Mit unseren autarken und anschlusslosen Toiletten streben wir in den kommenden Jahren auch Angebote in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe an.

Ihr haltet auch Bildungsworkshops rund um das Thema Klo + Kot ab. Worum geht es dabei genau, was kann man da lernen und warum braucht es solche Klo-Workshops überhaupt?
Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zu gesicherter Sanitärversorgung, 892 Millionen Menschen weltweit müssen ihr tägliches Geschäft ungeschützt und ohne Privatsphäre im Freien verrichten – insbesondere für Frauen ist das eine sehr belastende und gefährliche Situation. In Deutschland und Europa hingegen kennen wir dieses Problem nicht. Hinzu kommt, dass wir unser ineffizientes System der Wasserspülung nicht hinterfragen und als einzige Antwort für die Toilette akzeptieren. Dahingehend gibt es sowohl aus ökologischer als auch gesundheitlicher Perspektive wahnsinnig viele Themen rund um das Klo, welche wir in den Workshops ansprechen. Was nach der Spülung passiert, wissen hier die wenigsten.

Ihr arbeitet seit einigen Jahren an einem „Kackewald“. Was steckt genau dahinter und finden die Leute das nicht eklig?
Wir kompostieren in Zusammenarbeit mit dem Start-Up finizio aus Eberswalde die Hinterlassenschaften unserer Festivalbesucher. Innerhalb von einem Jahr entsteht fruchtbare Humuserde, die wir auf einer Industriebrache in Hamburg nutzen, um dort Pappeln und Weiden aufzuforsten. Der sogenannte “Kackewald” ist unser Demonstrationsobjekt, um zu zeigen, dass unsere schöne Welt nicht unendlich verfügbare Ressourcen hat. Wir wollen zeigen, dass jedes Ende auch wieder einen Anfang hat. Auch die Kacke. Wer ein Jahr später nach Wald duftende Erde in der Hand hält, ist eher fasziniert und nicht angewidert. Es ist erstaunlich, zu was die Natur imstande ist.
Welche „Meilensteine“ habt ihr mit Goldeimer seit der Gründung bereits erreicht, also so weltverbesserungsmässig?
Unser größter Erfolg ist, dass wir das Thema Toiletten zurück auf die Agenda der Öffentlichkeit gepackt haben. Es ist wesentlicher Bestandteil von SDG6 der Vereinten Nationen – und wir machen es sichtbar und erlebbar. Hunderttausende Menschen haben in den vergangenen Jahren unsere Toiletten genutzt und sich mit unserem Klopapier den Hintern abgewischt. Auf diesem Wege wurden sie sensibilisiert. Darüber hinaus haben wir die vergangenen 8 Jahre Wissenschaft und Praxis miteinander verbunden und diverse Projekte mit angestoßen, um nachzuweisen, dass menschliche Fäkalien unbedenklich sind, wenn man einen korrekten Kompostierprozess berücksichtigt. Für die Zukunft sind diese Erkenntnisse nicht nur für Deutschland, sondern vor allem den Globalen Süden von Bedeutung, um SDG6 zu erreichen.

Was bremst euch denn am meisten aus? Die Wissenschaft? Die Technik? Die Politik? Die Konsumenten?
Ein geschlossenes, kreislauforientiertes Sanitärsystem ist ein sehr komplexes Unterfangen mit vielen Hürden. Es müssen existierende gesetzliche Vorgaben berücksichtigt werden und es erfordert eine Verhaltensänderung bei den Nutzern. Bis alte, gewohnte Strukturen hinterfragt werden, können ein paar Jahre vergehen – insbesondere beim Stuhlgang. Nichtsdestotrotz hinkt auch die Politik den wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Markt hinterher – gäbe es einheitliche Regelungen und bessere Förderungen für Kreislaufwirtschaftsprojekte, wären wir heute wohl schon ein paar Schritte weiter.
Trefft ihr mit eurem Angebot bei Kunden und Medien den Nerv der Zeit?
Ich denke schon. Die Nachfrage nach nachhaltigen Dienstleistungen und Produkten in der Eventbranche ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Auch beim Toilettenpapier spüren wir ein gesteigertes Interesse an Recyclingpapier, Nachhaltigkeit und Produkten, die Sinn stiften.
Woran arbeitet ihr bei Goldeimer derzeit? Was kommt so als nächstes (sofern ihr drüber reden wollt)?
Wir arbeiten derzeit verstärkt an Angeboten für Kleingärten. Das Wissen, was wir uns dort aneignen, ließe sich perspektivisch auch in Megacities ohne Sanitärversorgung anwenden. So sehen wir all unsere Tätigkeiten hier in Deutschland als Testpiloten für eine breitere Anwendung im Globalen Süden, dort wo täglich Menschen an den Folgen unzureichender Sanitärversorgung sterben.
Was findet ihr an unserer Gesellschaft gerade so richtig
Scheiße/Kacke?
Die Unfähigkeit der Bundesregierung, die Klimakrise als Krise anzuerkennen.
Was wünscht ihr euch als Unternehmen für die Zukunft einer nachhaltigen Gesellschaft?
Staatliche Ordnungspolitik, die beispielsweise durch ein reformiertes Steuersystem eine Lenkungswirkung entfaltet. Dass viele Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht wahrnehmen und auf die Verantwortung des Konsumenten verweisen, hat in der Vergangenheit zu nichts geführt. Unternehmen tragen Verantwortung. In den Bilanzen von Unternehmen sollte daher nicht nur der Profit berücksichtigt werden, sondern auch die soziale und ökologische Performance.
Vielen Dank für eure Zeit!
Goldeimer ist ein junges Sozialunternehmen, das sich gemeinsam mit verschiedenen Partnern für eine Verbesserung der weltweiten Sanitär-Situation einsetzt. Rund um ihr Angebot an geschlossenen Toiletten als geschlossenes Kreislaufsystem arbeitet die Firma an Projekten wie der Kompostierung und der Wiederverwendbarkeit der Hinterlassenschaften. Mit ihrem Angebot an recyceltem Toilettenpapier und dem Aufstellen der Toiletten auf Festivals arbeiten die Gründer zudem intensiv daran, das Thema ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken.